Wie viele Programme hat Ihre Waschmaschine? Und, Hand aufs Herz, wie viele davon nutzen Sie? Frugale Innovation fragt, was wirklich nötig ist – und macht Produkte wieder erfrischend einfach. Ingenieure und Entwickler müssen dafür ihre Denkweise auf den Kopf stellen.

Freitagabend, eine Wohngemeinschaft im Ingolstädter Westen. Auf dem Balkon brutzelt der Grill, Feierabendbier. „Scheinwerfer sind bei unseren Autos inzwischen die dritt-teuerste Komponente“, schwärmt ein Ingenieur, der im Bereich Automotive Lighting tätig ist. Was in modernen Autoscheinwerfern steckt, ist für ihn Innovation pur: LED- oder Laser-Beleuchtung, die dank Kamera auf die Umgebung reagiert und sogar Wildwechsel erkennt. Aufwändig, komplex, der Konkurrenz voraus. So denkt man hier Innovation.

NM fair.mag Dr. Petra Blumenroth

Dr. Petra Blumenroth, Bayern Innovativ GmbH

„Innovation lässt sich aber auch ganz anders denken“, sagt Dr. Petra Blumenroth. Sie baut bei der Bayern Innovativ GmbH das Programm für „Frugale Innovationen“‘ auf. Sie unterstützt Neuentwicklungen, die einfach sind, statt komplex; die wenig Ressourcen konsumieren und dabei robust und sehr viel kostengünstiger sind als etwaige Vergleichsprodukte. Ursprung der frugalen Idee ist ein Ingenieursgeist, der eher in den Werkstätten Indiens zuhause ist, als in den F&E-Laboren hierzulande.

In Indien steht der Begriff „Jugaad“ für den informellen Markt aller derer, die sich aus der Not geboren Dinge zusammenbauen, quasi „Not macht erfinderisch“. Das steckt als Kern auch in der frugalen Innovation: Man finde mit begrenzten Mitteln Antworten auf die wirklichen Bedürfnisse, die Nöte der Menschen. Die Pioniere frugaler Innovation kommen oft aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Einer von Ihnen ist Mansukhbhai Prajapati. In der indischen Provinz Gujarad entwickelt der Ingenieur 2001 einen Kühlschrank ohne Strom. Der koffergroße Schrank hat dicke, gerillte Wände aus Lehm und hält Lebensmittel rund fünf Tage frisch, indem Wasser an den Wänden verdunstet und dabei kühlt.

Kostengünstiger zum Ziel

„Es gibt viele gute Gründe, sich auch als hiesiges Unternehmen mit der frugalen Denkweise zu beschäftigen“, ist Blumenroth von Bayern Innovativ überzeugt. Die neue Einfachheit ist für sie der Schlüssel zu einem bisher kaum beachteten riesigen Markt: In Schwellenländern wächst die Zahl der Menschen, die sich der Mittelschicht anrechnen, rapide. 2030 werden es weltweit 4,8 Milliarden Menschen sein. Sie werden einfache, gute und bezahlbare– sprich frugale – Produkte nachfragen. „Der frugale Ansatz hilft hiesigen Unternehmen aber auch dabei, sich dem ökonomischen Druck und globalen Mitbewerbern stellen zu können. Sie lernen, mit knapper werdenden Ressourcen zu haushalten und Nachhaltigkeitsziele einzuhalten“, ergänzt Blumenroth und verweist auf eine „neue Wertediskussion“ in den reifen Märkten bei uns vor der Haustür. Will heißen: Immer mehr kritische Konsumenten lehnen das „höher, schneller, weiter“ der industriell getriebenen Innovationen ab. Ihre Maßstäbe sind Nachhaltigkeit, Sozialverträglichkeit und der konkrete Nutzen.

Jahrelang galt die Ausrichtung auf Hightech und Premium als sichere Bank. Jetzt müssen sich auch große Unternehmen fragen: Haben wir uns von den tatsächlichen Kundenbedürfnissen weginnoviert?

Neue Wege statt immer weiter gehen

Zukünftig reicht es nicht aus, von einem etablierten Produkt X einfach ein paar Features wegzulassen, erklärt Blumenroth: „Unternehmen, ob Start-ups oder Konzerne, müssen, um frugal erfolgreich zu sein, ihre Produkte neu denken. Sie müssen sich neben den Kunden stellen und genau schauen: Wie gebraucht er das Produkt? Was ist die Essenz? In welchem kulturellen Kontext nutzt er es?“ Einfach, modular, leicht zu reparieren – das sind für viele Entwickler neue Prioritäten. „Wenn Ingenieure statt Hightech plötzlich ganz ‚einfache‘ Dinge entwickeln sollen, mit möglichst günstigen Standard-Komponenten, sagen viele erst einmal ‚wie bitte?‘ und sind nicht begeistert“ berichtet Blumenroth. Jeder will schließlich gern für das Flaggschiff verantwortlich zeichnen. Wer jedoch erst einmal die frugale Perspektive eingenommen hat, erkennt Herausforderungen, die mindestens genauso spannend, fordernd und erfüllend sind. Er wird etablierte Vorgehensweisen nicht nur graduell verbessern, sondern grundsätzlich hinterfragen und so häufiger neue Wege gehen, um für die Kunden passende Lösungen zu entwickeln.

Wie etwa das indische Entwicklungsteam des US-Industrie- und Medizintechnik-Riesen GE. Den Ingenieuren in Bangalore gelang es, ein EKG-Gerät auf die Größe eines tragbaren Kassettenspielers zu schrumpfen. Mit Batterien ausgestattet, ist es für die mobile ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten ausgelegt. Standard-Komponenten wie ein einfacher Kassenbelegdrucker übernehmen die Diagnose-Ausgabe und lassen die Kosten mitschrumpfen. Insgesamt eine Innovation, die auch in entwickelten Märkten aufhorchen lässt: Schließlich geht hierzulande der Trend hin zu einer mobileren und flexibleren Gesundheitsversorgung. So kommt manches Produkt, das für Schwellenländer entwickelt wurde, leicht modifiziert zurück und ist auch hier erfolgreich. Weil es einfach effizienter ist oder eine neue Nische besetzt.

Möglichst viele mitnehmen

Frugale Innovation heißt auch, den größtmöglichen Nutzen für möglichst viele zu bringen. Der Übergang zum Social Business und zur Entwicklungshilfe ist fließend. Wie bei dem Projekt Ein-Dollar-Brille: Eine einfach zu produzierende Brille, die es Millionen Menschen möglich macht, gut zu sehen. Entwickelt hat sie der Erlanger Martin Aufmuth. Sein Konzept sieht vor, dass die Produktion der Brillen vor Ort in den Entwicklungsländern stattfindet. Der Verein EinDollarBrille e.V. schult dazu Menschen in Ländern wie Burkina Faso oder Brasilien in der Brillenfertigung und als Optiker. Die Biegemaschine für das Gestell funktioniert ohne Strom. „Im Idealfall helfen frugale Innovationen, Menschen vor Ort in den Entwicklungsländern einzubinden und in Lohn und Brot zu bringen“, schließt Blumenroth. Die Biologin hat selbst einige Monate in Südafrika verbracht, um Upcycling-Projekte zu unterstützen. Bei Bayern Innovativ sucht sie jetzt Unternehmen, die sich für das frugale Mindset öffnen wollen. Der Ansatz frugaler Innovation bietet vor allem für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Bayern vielversprechende Möglichkeiten zur Erschließung neuer Märkte. Hier will Bayern Innovativ ansetzen und die relevanten Kompetenzträger und Marktteilnehmer aus interessanten Branchen wie etwa der Medizintechnik nachhaltig miteinander vernetzen. Dahinter steckt eine doppelte Überzeugung: Die „neue Einfachheit“ ist gut für den Unternehmenserfolg. Und sie kann uns allen gut tun.

Frugale Innovation auf der MT-CONNECT

Eine Vortragsreihe zum Thema Frugale Innovationen findet am 12. April 2018 im Rahmen des MedTech Summits parallel zur MT-CONNECT, der Fachmesse für Zuliefer- und Herstellungsbereiche der Medizintechnik im Messezentrum Nürnberg statt. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.mt-connect.de.

Bayern Innovativ informiert unter www.frugale-innovationen.de rund um das Thema.

Der Beitrag Macht‘s mal einfach! erschien zuerst auf Das Online-Magazin der NürnbergMesse..